Sport-Wissen schaf[f]t Praxis
Die Sport- und Bewegungswissenschaft versteht sich als eine angewandte Wissenschaftsdiziplin. Dem Verhältnis von Theorie und Praxis kommt daher eine sehr große Bedeutung zu. Einerseits geht es um die Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen für die Praxis, andererseits sollen Fragestellungen aus der Praxis aufgegriffen und vor dem Hintergrund von Theorien wissenschaftlich geprüft werden.
Die Ausdifferenzierung der Sport- und Bewegungswissenschaft ermöglicht das Generieren von hochspezifischem Grundlagenwissen, birgt jedoch das Risiko, den Anwendungsbezug nicht hinreichend herstellen zu können. Dies bringt mit sich, dass die Lücke zwischen Forschung und Anwendung auseinanderklaffen kann. Mit der Spezialisierung ist auch die Gefahr verbunden, dass etablierte erkenntnistheoretische Zugänge, die über Jahrzehnte entstanden sind, durch außerhalb der Sport- und Bewegungswissenschaft liegenden Wissenschaftsfächern beeinflusst wird und somit ein Stück Wissenschaftsidentität von Sport- und Bewegungswissenschafter:innen verloren geht.
Die Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels verändert die Bedürfnisse und Anforderungen in den Feldern Leistungs-, Gesundheits-, Breiten- und Schulsport sowie Sport- und Bewegungstherapie. Dem Austausch von Forschenden und Praktizierenden kommt demnach eine noch größere Bedeutung als bisher zu. Die Überführung von evidenzbasiertem Wissen in konkretes Anwendungswissen ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die flexibles Denken erfordert und hohe zeitliche Ressourcen an Forschende sowie Praktizierende stellt. Forschung darf jedoch nicht zur Einbahnstraße werden. Fragestellungen, die in der Sport- und Bewegungspraxis entstehen, sollen ebenfalls aufgegriffen werden. Um dieser Forderung gerecht werden zu können, müssen Möglichkeiten des fachlichen Austausches geschaffen werden. Forschende müssen in der Lage sein, Problemstellungen aus der Praxis in Wissenschaftskonzepte und -theorien integrieren und darauf aufbauend Forschung betreiben zu können.
Das Tagungsthema „Sport-Wissen schaf[f]t Praxis“ nimmt während der gesamten Tagung eine bedeutsame Rolle ein. Ein Schwerpunkt liegt auf den Themenbereichen der Trainingstherapie. In eingeladenen Arbeitskreisen zu Neurologie, Psychiatrie und Psychosomatik sowie Innerer Medizin und Orthopädie wird der Theorie-Praxis Bezug besonders behandelt. Im Gelingen des Überführens von Theorie in die Anwendung und umgekehrt liegt großes Potential für die Sport- und Bewegungswissenschaft. Das Trainieren des Theorie-Praxis-Denkens ist eine der wesentlichen Herausforderungen, die in Folge das Wissenschafts- und Praxisverständnis von Sport- und Bewegungswissenschafter:innen beeinflusst und somit identitätsstiftend ist.